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Channel: Kommentare zu: „Die Kunst, frei zu sein“
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Arbeit.Macht.Abhängigkeit

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Sie ist omnipräsent. Die Frage: Und, was machst du beruflich? Oder bist du noch in Studium oder Ausbildung? Nein, keins von beiden. Können wir aufhören, in diesen Kategorien zu denken?

Wieso?

Ich habe mein Studium erfolgreich abgebrochen. Warum „erfolgreich“? Weil ich mit dieser Entscheidung absolut zufrieden bin und ich sie nicht aufgrund von „schlechten Zensuren“ getroffen habe.

Nach meinem Abitur dachte ich: Wuhey! Endlich frei, endlich nur Inhalte aus innerer Motivation lernen, zu denen ich Freude habe. Tja, falsch gedacht: Die Strukturen des Auswendiglernens und des institutionalisierten Leistungsdrucks werden im Studium eifrig reproduziert. Fragwürdige Lernmethoden werden angewendet und Wissen wiederholt und ausgekotzt.

So widmete ich mich schon während der zwei Semester, die ich an der Uni verbrachte, nur halbherzig dem vorgesehenen Studium. Viel spannender und erfüllender fand ich die Arbeit an gesellschaftspolitischen Projekten. Und so war die Entscheidung recht schnell getroffen: Ich breche ab und werde Vollzeitaktivistin.

Zu sehen sind abgelegte Stifte, eine Brille und ein Zettel mit "Herzlichsten Dank für..."

Herzlichsten Dank für… Ja, für was eigentlich?!

Verantwortung übernehmen

Auf jeden Fall ist Studieren ein Privileg. Ebenso sich die Freiheit herauszunehmen, einfach darauf zu verzichten. Auch mein jetziges Leben ist gespickt mit Privilegien. Aus dieser Position ziehe ich für mich den Schluss, dass es tagtäglich meine Entscheidung ist, diese Privilegien zu nutzen und für gesellschaftspolitische Veränderung aktiv zu werden. Aus dieser Entscheidungsmacht resultiert Verantwortung. Diese möchte ich wahrnehmen.

Also keine Arbeit?

Spannend ist, dass das Wort „Arbeit“ für uns sehr negativ konnotiert ist. Das kommt zum einen durch die Wortherkunft, die nicht ganz klar ist: Laut Wikipedia ist der Begriff entweder verwandt mit dem indoeuropäischen „orbh”: „ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdungenes Kind” oder mit dem slawischen „robota” („Knechtschaft”, „Sklaverei”). Schauen wir ins Alt- und Mittelhochdeutsche überwiegt die Wortbedeutung „Mühsal”, „Strapaze”, „Not”. Das französische Wort für Arbeit („travail”) leite sich von einem frühmittelalterlichen Folterinstrument ab.

Die Zahl der Anti-Depressiva-Verordnungen der Erwerbstätigen hat sich seit 2000 verdreifacht. Quelle: Spiegel 2013

Eigentlich sollte eine Arbeit eine sinnvolle Tätigkeit sein, die unser Überleben sichert und ein nützlicher Beitrag für die Gesamtgesellschaft darstellt. Hm, wenn wir uns die Produktionsweise von Produkten anschauen, scheinen wir von einem gesamtgesellschaftlichen Nutzen weit entfernt zu sein. Immer höher, schneller, weiter versuchen wir zu wirtschaften, Arbeitsplätze zu schaffen und uns im Konkurrenzkampf unser Überleben – oder familienegoistisch gedacht das unserer Liebsten – zu sichern.

Zurück zur Berufsfrage

Ich wage die steile These, dass durch den Status Quo der meisten heute verrichteten Arbeit eher Elend, Ausbeutung und Not verursacht werden. Wo bleibt das sozial gerechte, zukunftsfähige Tun, welches unsere Welt wieder ein Stückchen gerader rückt?

Ich erlebe immer wieder, dass Aktivismus nicht als „Arbeit“ anerkannt wird. Bei der Frage „Was ist eigentlich dein Beruf?“ erwarten wir nicht die Antwort: „Ich habe keinen. Als Vollzeitaktivistin bei living utopia bringe ich mich mit meinen Talenten für den gesellschaftlichen Wandel ein. Außerdem möchte ich lebenslang lernen und bilde mich als Freilernerin selbst weiter.“ Aha, na ja, dann arbeitest du ja nicht…

Von Scheinen und anderen sozial konstruierten Dingen…

Als ich vor zwei Jahren noch eine andere, gesellschaftlich anerkanntere Antwort auf diese omnipräsente Frage geben konnte – „Ja, ich studiere. Ethnologie und Politikwissenschaften“ –, waren die meisten zufrieden. Dass so gut wie keine*r von ihnen wusste, was Ethnologie denn eigentlich ist, spielt keine Rolle, durch den Begriff „Studium“ bin ich abgehakt worden und in die Kategorie „gesellschaftlich akzeptiert“ gerutscht.

Den Begriff „Arbeit“ neu denken

Gerne verwende ich diesen Begriff nicht. Er ist oft verbunden mit dem Verb müssen: „Ich muss zur Arbeit“. Er löst das Gefühl des Unfreien in mir aus, des Zwanghaften. Des „Ich-schaue-alle-Stunde-auf-die-Uhr-und-hoffe-dass-es-bald-vorbei-ist“.

In meinem Artikel zu „People care“ sprach ich von den sozialen Grundbedürfnissen, die wir alle haben. Dazu gehört unter anderem sinnvolles Tun. Wenn wir in unserer Tätigkeit keinen Sinn sehen, sie als sinnlos erachten, ist das mehr als unbefriedigend und kann auf Dauer zu psychischen Belastungen führen.

Freilernen und selbstbestimmt leben

Mein Leben ist keine Aufopferung aus Verantwortungsbewusstsein. Es bringt eine Menge Freude Verantwortung zu übernehmen! Seit ich frei bin von Schul- und Unizwängen, lerne ich so viel wie nie zuvor und kann mich endlich für gesellschaftspolitische Veränderung vollzeit einsetzen.

Oft wissen wir gar nicht mehr, was uns interessiert und wo unsere Talente liegen, da wir jahrelang anders sozialisiert werden: In der Schule werden uns Themen vorgekaut, die wir lernen müssen.
Die Schuljahre hinterlassen dann neben der endlich ersehnten Freiheit oft auch eine Leere und Unsicherheit. Was nun, was tun?

BERTinBERLIN_IMG_4547 Workshops gestalten wir durhc interaktive Methoden. Auf dem Bild ist eine zu sehen durch Menschen, die nicht starr herum sitzen, sondern im Raum stehen und miteinander interagieren. Tobi und ich während eines Vortrags an der Leuphana Universität in Lüneburg.

Das erlebe ich oft in der Begegnung mit Menschen, die ein FÖJ (Freiwilliges ökologisches Jahr) machen. Auf deren Seminaren teame ich ab und an Projekttage, bei denen es meistens um Empowerment und Selbstwirksamkeit geht. Was ist mein Herzensthema? Was motiviert mich aktiv zu sein und wo sehe ich Hindernisse?

Simple Fragen, die im Alltag viel zu kurz kommen, jedoch tiefe Reflexionsprozesse anstoßen können. Denn neben Mathestunde, Hausaufgaben und für-Lateinklausur-lernen bleibt meist keine Zeit, um sich ernsthaft mit diesen Frage zu beschäftigen. Kinder und Jugendliche leiden unter Stress, was sie auf Dauer sogar krank macht.

Psychisch bedingte Krankheitsbilder nehmen bei Schüler*innen zu. Fast jede*r dritte leidet an Kopfschmerzen, Schlafproblemen, psychosomatischen Beschwerden oder Niedergeschlagenheit. Quelle: Sueddeutsche

Herzensthemen

Ich bin nun seit zwei Jahren an dieser kniffligen Frage um die Herzensthemen und kann mich ihr langsam annähern. Ich kann Themenfelder benennen und mich mit ihnen in meiner eigenen Art und Weise beschäftigen. Ich kann mir die Fragen stellen „Wie möchte ich lernen?“, „Was möchte ich lernen?“ und vor allem „Wie kann ich das Gelernte an andere weiter geben und für andere zugänglich machen?“. Also auch: Was bringt das Erlernte?

All diese Fragen kommen in Bildungsinstitutionen leider zu kurz.

Da gibt es nur vorgefertigte Schemata. Kein Wunder, dass wir denken, wir müssten uns irgendein Förmchen aussuchen und uns passgenau ausstechen lassen. Und wehe es fehlt ein wenig Teig – Dann lieber sich noch ein bisschen auspressen lassen, sonst entsteht da ja eine Lücke…

Entdecke deine Talente!

Es gibt nicht nur die schon bestehenden Förmchen! Wir dürfen kreativ sein und können auch ganz andere kreieren. Mit anderen Worten: Durch jede*n von uns können wir den Wandel gestalten. Es gibt keine Kompetenzen, die „besser“ oder „schlechter“ geeignet sind. Mit allen Talenten können wir unsere Gesellschaft zu einem schöneren Ort machen. Dafür musst du keine leidenschaftliche Planer*in sein.

Du bist IT-Checker*in? Dann kannst du wundervolle Websites programmieren! Du bist unglaublich gerne kreativ? Dann kannst du gesellschaftskritische Performances auf die Beine stellen, Menschen Perspektivwechsel ermöglichen oder ihnen sogar beibringen, wie sie selbst ihre Ängste, Abhängigkeiten und Wut ausdrücken können.

Es gibt nicht die Fähigkeit für gesellschaftlichen Wandel. Und genau das ist das tolle: Wir können uns selbst finden und dann einfach mal los legen. Die Frage „Wo kann ich am besten ansetzen, um Gesellschaft zu verändern?“ führt in theoretischer Betrachtung oft zur Stagnation und Ohnmacht. In allen Lebensbereichen brauchen wir utopietaugliche Alternativen. Lassen wir sie gemeinsam lebendig werden!

Und du? Was ist dein Talent und was machst du draus? Erzähle uns gerne in den Kommentaren davon! Vielleicht können wir uns vernetzen.

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